Wir sind zu Besuch bei guten Bekannten. Der Hausherr spricht beim Kaffeetrinken auf der Terasse seine Frau an. Ich hake nach, denn ich meine, ich hätte ihn „Martha“ sagen hören. Dabei heisst seine Frau Marita…

Und plötzlich sind wir im Gespräch über die beiden Schwestern in der Bibel, den überraschenden Besuch von Jesus mit seiner Reisegesellschaft in ihrem Haus und wie herausfordernd es für die Gastgeber damals gewesen sein dürfte, alle die hungrigen Mäuler zu stopfen. Kein Wunder, dass sich Martha in ihrer Überforderung irgendwann empört an Jesus gewand hat, er möge ihre Schwester zum Helfen auffordern. Denn diese sass in der Nähe von Jesus und hörte ihm zu…

Marta aber war sehr beschäftigt mit vielem Dienen; sie trat aber hinzu und sprach: Herr, kümmert es dich nicht, dass meine Schwester mich allein gelassen hat zu dienen? Sage ihr doch, dass sie mir helfe!
Jesus aber antwortete und sprach zu ihr: Marta, Marta! Du bist besorgt und beunruhigt um viele Dinge; 
eins aber ist nötig. Maria aber hat das gute Teil erwählt, das nicht von ihr genommen werden wird. (Luk. 10, 40-42)
 
Praktisch oder fromm?
 
Marthas Kritik können wir gut nachvollziehen, oder? Teamwork heisst doch, dass sich alle gleichermassen am Arbeitsvorrat beteiligen. Und sich keiner herausnimmt, aus welchen frommen Gründen auch immer.
Und ein anderes Klischee wird damit auch bedient: Maria, die Fromme und Martha, die Fleissige. Und ganz schnell teilen wir auch unser Umfeld in Marthas und Marias ein. „Ich bin eben mehr die Geistliche, die spirituell Veranlagte,“ sagt vielleicht der eine Typ. Und der Andere? „Mir liegt eben das Schaffen mehr, ich muss und will was mit meinen Händen tun. Weisst du, Glaube muss auch immer praktisch sein,“ sagen solche Leute.
So eine Typisierung liegt uns, wir teilen Menschen – und uns selbst – gerne in Schubkästen ein…
 
Katowice
 
Es ist fast 20 Jahre her, da fuhren wir als Quartett über ein verlängertes Wochenende nach Kattowitz, der oberschlesischen Stadt in Südpolen. Vier junge Männer folgten einer Einladung von Freunden, dort in der Stadt und in der christlichen Gemeinde zu evangelisieren. Was wir gerne taten. Schriften verteilen vor einem Kaufhaus (nach knapp zwei Stunden waren uns alle Vorräte fast aus den Händen gerissen), abends im Gemeindesaal predigen und Lieder singen und gemeinsam lernen (einer von uns konnte gut Gitarre spielen). Am Sonntag gab es zwei kurze Predigten. Meine Botschaft war die obige Geschichte. Als ich die Einzelheiten dann erklärte, merkte ich, dass der Übersetzer an einer Stelle stockte und den Zuhörern mehr erzählte, als ich ausgeführt hatte. Ich frug nach – und siehe da: Es gab ein Bibelproblem. Sie benutzten eine polnische Bibel, die ähnlich wie unsere deutsche Lutherübersetzung eine Kleinigkeit anders wiedergab, als meine Elberfelder Übersetzung. In „meiner“ Bibel stand nämlich  der Vers 39 so abgedruckt:
Und diese hatte eine Schwester, genannt Maria, die sich auch zu den Füßen Jesu niedersetzte und seinem Wort zuhörte. (Lukas 10,39)
 
Es geht um das kleine Wörtchen: auch. Und schon verändert sich der ganze Schwerpunkt der Erzählung.
 
 
Sowohl als auch
 
Wenn die „Elberfelder“ den Text richtig übersetzt – was ich glaube – dann war Maria nicht nur „die Fromme“, die dazulernen wollte und ihrer Schwester den ganzen Haushalt überliess. Nein, dann half sie genauso mit den Tisch decken, Wein aus dem Keller holen und Wasser zum Füssewaschen bereitzustellen.
Aber dann, als der Meister anfing, über himmlische Dinge zu reden – da setzte sie Prioritäten und nahm den Platz zu seinen Füssen ein. Um ihm nahe zu sein. Um nichts zu verpassen, was der Messias an Worten aussprach, die die Ewigkeit tangierten. Das war ihr wichtiger als ihr Ruf als Hausfrau und Gastgeberin…
 
Jesus versteht Martha, aber er lobt auch Maria, die sich zur richtigen Zeit Zeit nahm, um Gott zuzuhören.
 
Übrigens wird es in der lateinischen Vulgata auch so übersetzt: „et huic erat soror nomine Maria quae etiam sedens secus pedes Domini audiebat verbum illius“. Etiam heisst: auch.
 
Marita
 
Zurück zu unserem Kaffeetrinken auf der Terasse. Die Hausherrin heisst Marita. Mit ein wenig Geschick kann man beide Namen aus der biblischen Geschichte bei ihr entdecken: Maria, Marta. Man muss jeweils nur einen Buchstaben weglassen…
 
Im christlichen Alltag sind beide Eigenschaften gefragt: Das tätige Zupacken und das aufmerksame Zuhören trotz längerer Do-to-Liste. Insofern ist der Name Marita eine sehr schöne Illustration zur Lukasgeschichte.