Sie sitzt, wie mir scheint, etwas traurig an diesem Lobpreisabend auf ihrem Stuhl. Nein, so begeistert wie die anderen Besucher schaut sie wahrlich nicht aus. Nach einer ganzen Weile setze ich mich auf den Nebenstuhl. Und frage die junge Frau, ob ich sie denn mal fragen dürfte, wie es ihr ginge.

„Seit der Diagnose im Januar gar nicht gut. Und dann höre ich hier bei der Bibelarbeit, dass es weltweit aktuelle Krankenheilungen und mehr gibt…“ Da ich durch den Gesang der Anderen akustisch nicht gut verstehe, was sie da erzählt, bitte ich Ursula*, mit auf den anschliessenden Balkon zu kommen. Da frage ich noch mal nach. Und sie erzählt unter Tränen, wie sie diese Diagnose ‚Multiple Sklerose‘ belastet, die ihr Arzt ihr vor einiger Zeit eröffnet hat. Wie sie Angst vor der Zukunft hat. Und die Frage sie umtreibt, wie Gott so eine Krankheit überhaupt schicken kann. Und sie auch keine Tabletten dagegen nähme, wenn es eh in der Absicht Gottes sein würde, dass er ihr durch diese Krankheit etwas lehren wolle… Und auch nicht beten dürfe, dass er die Krankheit wegnehmen solle, wenn er sie denn geschickt hätte.

Krankheit kommt nicht von Gott

Ich bin, wie öfters in letzter Zeit, erschüttert, wenn ich solche Gedanken höre. Da ist ein junger Mensch, eine gläubige Christin – und sie glaubt, dass es Gottes Erziehungsmassnahme sei, diese Krankheit. Und man nicht „dagegen“ beten dürfe. Die Verzweiflung in ihrer Stimme ist unüberhörbar. Und Tränen laufen ihre Wange herunter. Sie sieht einfach keinen Ausweg.

Behutsam, aber doch deutlich, versuche ich ihr zu vermitteln, dass Krankheiten niemals von Gott geschickt werden, sondern dass Jesus gerade auch am Kreuz „unsere Krankheiten getragen hat und unsere Schmerzen auf sich geladen hat“ (Jes. 53,4). Natürlich benutzt Gott manchmal solche Schwierigkeiten, um uns neu Vertrauen auf seine Allmacht, Grösse und Liebe zu vermitteln. Um uns zu sich hin zu verändern. Aber Gott ist ein Gott der Liebe, der keine Freude daran hat, seine Kinder zu plagen.

Das Prinzip: Bitten-Geben

Und das Zweite: Christen dürfen jederzeit mit allem zum Allmächtigen kommen. Wünsche, Fragen, Vorwürfe, Hoffnungslosigkeite, Ausweglosigkeit – all das sind Themen, bei denen Gott niemals überfordert ist. Wir denken vielleicht manchmal, dass es zu klein, zu gross, zu unbedeutend sei, mit unseren Problemen an seine Tür zu klopfen. Zum einen bin ich überzeugt, dass seine Tür immer offen steht und wir direkten Zugang zum Chefschreibtisch haben, zum anderen weiss ich, dass kein Anliegen zu gering wäre, vor ihm ausgebreitet zu werden. Schliesslich ist er der Vater, der seinen Kindern gerne zuhört. Und nicht genervt ist, wie wir menschlichen Väter manchmal sind mit unserer begrenzten Nervenkapazität…:-)

Jesus sagte einmal: „Bittet – und es wird euch gegeben werden!“ (Matt. 7,7). Wie will er denn geben, wenn wir nicht bitten? Diese Aufforderung hat zwei Seiten: Gottes Seite – er gibt ein Versprechen ab, eine Verheissung. Und meine Seite: Ich darf, ich soll bitten, fragen, ihn herausfordern. Bei all seiner Allmacht wartet er nur darauf, dass wir seine Reaktion erwarten. Aber wir sollen, wir müssen aktiv werden, indem wir ihn bitten. Ein tolles duales Prinzip, welches uns an vielen Stellen in der Bibel gelehrt wird!

In Autorität beten

Ursula kann diese Gedanken gut nachvollziehen, auch wenn sie anders belehrt war und sie umdenken muss, umdenken will. Denn Hoffnung keimt auf… Wenn sie tatsächlich Gott um Heilung, um Linderung bitten darf, dann ist sie ja der Dunkelheit nicht mehr total ausgeliefert, kann neu auf den vertrauen, der die Welt in seiner Hand hält. Und auch ihr Leben. Und dieses verändern kann und will.

Ich hole dann noch Gebetsunterstützung dazu und wir beten in der Autorität Christi (als seine Stellvertreter, als seine Botschafter) mit Ursula. Sagen Gott alles, was uns auf den Herzen brennt. Die Tränen laufen immer noch, aber die Erleichterung ist der jungen Frau deutlich anzumerken. Und wir hoffen, dass dieses Vertrauen auf den Herrn, der auch ihre Krankheit auf sich nahm, mit ihr weiter in den Alltag gehen wird…

Dafür habe ich noch nie gebetet

Da fällt mir noch eine andere Begebenheit ein: Vor einiger Zeit telefoniert ich mit einer alten Bekannten, die zum einen schon viele Jahrzehnte Christ ist, zum anderen aber noch länger grosse gesundheitliche Schwierigkeiten hat. Als ich mich beim Austausch am Telefon auch über ihren jetzigen Gesundheitszustand erkundigte, erzählt sie, dass sich ihr Gesamtbefinden noch weiter verschlechtert hat. Gerlinde* fügt aber hinzu, dass sie es aus der Hand des Herrn nähme, und Er sich sicher etwas dabei gedacht hat, wenn er die Schmerzen über so lange Zeit nicht weggenommen hätte aus ihrem Leben.

Dann fragte ich sie: „Hast du eigentlich in den Jahrzehnten deiner Krankheit schon mal gebetet, ob der Herr dir diese Krankheit wegnehmen möge?“ – Die Antwort machte mich sprachlos: „Nein, das habe ich noch nie.“

Ich weiss nicht genau, woran es liegt, dass solche Gedanken Fuss fassen können in unserem Leben als Christen. Aber ich möchte mehr lernen, mit allem, was mich bedrückt, zum Thron Gottes zu gehen. Ob er meine Wünsche, meine Bitten so erfüllt, wie ich es mir vorstelle, das sei dahingestellt. Denn meine Vorstellungen von Gottes Handeln sind oft so begrenzt – dabei hat er Möglichkeiten, die mir nicht im Traum einfallen würden. Aber versuchen möchte ich es immer öfters. Denn es liegt eine Verheissung auf dem Beten!

*Namen geändert